Im Laufe der Fertigung vom Rohmaterial zum Fertigprodukt fallen beim Material Stahl in den diversen Fertigungsschritten üblicherweise mehrere thermische Nachbehandlungsprozesse an. Die Wärmebehandlung ist dabei eine wesentliche Schlüsseltechnologie, um einen anforderungsgerechten Werkstoffzustand für die optimale Verarbeitbarkeit sowie Bauteileinsatz bei Stahlprodukten zu erzielen.
Fachorganisationen wie die Arbeitsgemeinschaft Wärmebehandlung und Werkstofftechnik und ihre Forschungseinrichtung tragen auf diesem Sektor zur Behandlung aktueller Fragen und Probleme, zum Wissenstransfer sowie zum Erfahrungsaustausch bei.
Mit den Vorgängen rund um die Wärmebehandlung befasst sich in Deutschland die Arbeitsgemeinschaft Wärmebehandlung und Werkstofftechnik e. V., kurz AWT. Die
Organisation wurde 1948 gegründet undist ein gemeinnütziger, wissenschaftlich-technischer Verein mit der Zielsetzung, den theoretischen und praktischen Kenntnisstand in der
Werkstofftechnik, insbesondere der Wärmebehandlung, zu vertiefen und zu erweitern. Fast 300 Firmen sind zurzeit Mitglied der Arbeitsgemeinschaft. "Die AWT hat das
Ziel, den Wissensstand auf den Gebieten der Wärmebehandlung und der Werkstofftechnik auszubauen und zu verbreiten," erläutert der AWT Vorsitzende Dr. Michael Lohrmann, Leiter der
Zentralen Werkstofftechnik/ Senior Manager Corporate Materials Technology der ZF Friedrichshafen AG: "Dieses Ziel erreichen wir, indem wir zum einen als
Forschungsvereinigung gemäß dem Bedarf unserer Mitglieder Forschungsprojekte initiieren und durchführen, für den Wissenstransfer in verschiedenenExpertengremien sowie durch
Veröffentlichungen bzw. auf eigenen Tagungen sorgen, und zum anderen die Interessen unserer Mitglieder in Politik, Verbänden und der Normung vertreten." Für die Wirtschaftlichkeit eines
Bauteils sei eine optimale Wärmebehandlung von ausschlaggebender Bedeutung, so Lohrmann weiter. Um qualitativ hochwertige Produkte zu erzeugen, sind dabei
sorgfältige Prozessführungen, verbunden mit hohem Erfahrungswissen, für die innovativen und komplexen Wärmebehandlungsprozesse notwendig. Die Wärmebehandlung macht
immerhin ca. 20 % des Wertschöpfungsanteils in der Metal verarbeitenden Industrie aus. In Deutschland kann dieser mit rd. 10 Mrd. € beziffert werden.
Zusammen mit dem Land Bremen fungiert die AWT denn auch als Stifterin des Instituts für Werkstofftechnik (IWT) in Bremen - einem international renommierten Forschungsinstitut, das einzigartig in Deutschland und Europa die drei Fachdisziplinen Werkstoff-, Verfahrens- und Fertigungstechnik als gleichgestellte Hauptabteilungen unter einem Dach vereint. Hervorgegangen aus dem traditionsreichen Institut für Härtereitechnik blickt das IWT - angesiedelt auf dem Campus der Universität Bremen - heute auf eine mehr als 50-jährige Geschichte zurück und hat zum Ziel, die komplexe Forschung auf dem Gebiet der Metallverarbeitung voranzutreiben. Zukunftstechnologien der Metallverarbeitung sollen dort bis zur Industriereife vorangetrieben
werden. Zu den Institutsaufgaben zählen auch der Wissenstransfer, der Erfahrungsaustausch über aktuelle Forschungsvorhaben sowie die Behandlung aktueller Fragen und Probleme der Wärmebehandlung. Die vom IWT durchgeführten Forschungsprojekte der AWT werden durch die AWT-Fachausschüsse und den Wissenschaftlichen Beirat von AWT und IWT begleitet. "Solche Fachausschüsse und die Beiräte sind für das Qualitätsmanagement der wissenschaftlichen Arbeit unerlässlich" , bekräftigt Dr. Frank Stahl, Vorsitzender des Vorstandes der Stiftung IWT und gleichzeitig Geschäftsführender Gesellschafter der Dörrenberg Edelstahl GmbH, Engelskirchen.
25 Fachausschüsse sind derzeit hier tätig: Sie befassen sich unter anderem mit der Normung der Wärmebehandlungs- und Werkstofftechnik, mit der Sicherheit in Wärmebehandlungsbetrieben, mit Qualitätssicherung in der Wärmebehandlung, mit Maß- und Formänderung bei den Wärmeprozessen bis hin zum Einsatz von Sensorik in der Wärmebehandlung. So wurde dort der Prozessstandard zur Qualitätssicherung in der Wärmebehandlung CQI-9 HTSA (Continuous Quality Improvement I Heat Treatment System Assessment) nach Kundenforderungen der Firmen Chrysler, GM und Ford weiterentwickelt und optimiert. Der Standard soll für eine kontinuierliche Verbesserung, eine Fehlerprävention und Reduzierung von Prozessabweichungen und Streuungen bei der Wärmebehandlung, die vereinheitlichte Entwicklung von Managementsystemen und eine zuverlässige Prozessüberwachung für die Wärmebehandlung von Automobilteilen sorgen. Dazu zählen beispielsweise auch hochbelastete Getriebebauteile, die für die meisten Anwendungsfälle einsatzgehärtet werden, um eine der Belastung angepasste Festigkeit einzustellen. Beim Einsatzhärten im Mehrzweckkammerofen konnte das IWT zuletzt auf Basis umfangreicher Forschungen eine Steigerung der Wirtschaftlichkeit durch Erhöhen der Behandlungstemperaturen auf 1050 °C erreichen. Bei einer Aufkohlungstiefe von 3 mm sind mit 1050 °C gegenüber Behandlungen bei 940 °C nun bis zu 50 % kürzere Prozesszeiten möglich. Auch die Anforderungen an Wälzlager hinsichtlich ihrer Einsatztemperatur steigen ständig. Selbst bei Einsatztemperaturen über 100 °C muss heute die Maßoder Formstabilität solcher Lager gewährleistet bleiben. Um Kugellager bei höheren Einsatztemperaturen zuverlässig betreiben zu können, ist es notwendig, die Anlassbeständigkeit der Lagerwerkstoffe zu erhöhen. Dies ist dem IWT nun gelungen: Üblicherweise werden Kugellager aus den durchhärtenden Stählen 100Cr6 und 100CrMn6 gefertigt. Für die Verbesserung der Anlassbeständigkeit dieser beiden Stähle scheint die Zugabe von Silicium die erfolgversprechendste Legierungsvariation. Am Beispiel des 100Cr6-Stahls wurde dies untersucht. Laut IWT ist deutlich zu erkennen, dass sich die Zugabe von Si-Gehalten positiv auf die Lebensdauer der Kugellager auswirkt. In den vorliegenden Untersuchungen weisen solche Lager bei 120 °C mit erhöhtem Siliciumgehalt immerhin die 3-fache Lebensdauer auf.
Stahlbauteile mit optimalen Eigenschaften
"In der Entwicklung der Wärmebehandlungstechnologie ist Deutschland ganz klar in der Führungsrolle," betont Lohrmann: "Das Potenzial der Wärmebehandlung liegt insbesondere bei neuen Anwendungen durch aktuelle Werkstoffentwicklungen und Bauteilgeometrien, wie z.B. im Bereich des Leichtbaus oder für die Windkrafttechnik. Weiterhin spielt die Integration der Wärmebehandlung in die Fertigungslinie eine wichtige
Rolle." Insbesondere Edelstähle werden sehr häufig einer Wärmebehandlung unterzogen, vor allem, um am Ende der Fertigungskette dem Bauteil eine hohe Festigkeit zu verleihen. Der Antriebsstrang von Fahrzeugen besteht beispielsweise zum Großteil aus Stahlbau teilen, die einer Wärmebehandlung für die Übertragung von Kräften und Momenten unterzogen werden müssen, schildert Lohrmann. Gerade das Vakuumhärten von Edelstählen mit drei bis vier Anlassvorgängen stellt extreme Anforderungen an solche Prozesse. Um diese zu optimieren, arbeitet das IWT an Randschichtbehandlungen wie Niedertemperaturnitrieren oder Niedertemperaturaufkohlen. Unter Fachleuten der Branche gilt nicht umsonst die alte Weisheit: "Was nicht krumm ist, ist nicht hart." AWT-Chef Lohrmann weist daraufhin, dass die Wärmebehandlung bei allen Fortschritten freilich auch eine recht energieintensive Technologie ist. Die steigenden Energiepreise und Umweltanforderungen führen dazu, dass das Thema Energieeffizienz in der AWT ein wichtiges Entwicklungsgebiet darstellt. So gibt es beispielsweise einen eigenen Fachausschuss zu diesem Thema und entsprechende Forschungsprojekte. Potenziale liegen in der Optimierung der ganzen Prozessketten sowie der effizienten Verknüpfung von Verfahrens- und Prozessschritten. Hier arbeitet man beispielsweise an Methoden zur Nutzung der Abwärme, besseren Ofenisolationen oder höheren Brennerwirkungsgraden. Dass diese Bemühungen von hohem Stellenwert sind, zeigt der deutsche Umweltpreis 2011, der an eine AWT-Mitgliedsfirma für ihre innovative Brennerentwicklung hinsichtlich verbesserten Wirkungsgrads und verringerten
Schadstoffausstoßes verliehen wurde, berichtet Lohrmann nicht ganz ohne Stolz. Und Verbesserungen seien hier besonders wichtig, weil die Energiekosten gerade für Härtereien einen wesentlichen Kostenfaktor darstellen: Bei strombetriebenen Öfen können diese schon mal zwischen 3 und 5 % der Kosten von Lohn- oder Vakuumhärtereien ausmachen, wie der der IWT-Vorsitzende Frank Stahl erläutert. Energieintensive Prozesse Neben Umweltthemen wie Energie- und Rohstoffeffizienz erstrecken sich die Forschungsschwerpunkte der Abteilung Wärmebehandlung des IWT momentan auf ein weites Themenfeld: Derzeit umfassen sie fortschrittliche Abschrecktechnologien wie Hochdruckgasabschrecken, Düsenfeldabschrecken oder definiertes geregeltes Abschrecken beim Induktionshärten. Auch die Sensorik in der Wärmebehandlung wie etwa Sensoren auf Basis der Restgasanalytik sind ein Thema.
Edgar Lange, Fachjournalist, Düsseldorf im Auftrag der AWT